Sonntag, 14. November 2010

Wann helfen Menschen?


Manchmal geschehen auf der Welt Dinge, die auf den ersten Blick ziemlich absurd klingen. Anfang der 60er Jahre berichtete die US-Amerikanische Polizei von einem Fall, der die Menschen zutiefst erschütterte. 

© Paul-Georg Meister / pixelio.de

In einer engen Gasse von New York wurde eine Frau mit dem Namen Kitty Genovese Opfer eines Mordfalls. Das Erschreckende: der Mord geschah nicht in einem abgelegenen Ort, sondern zwischen Wohnblöcken mit mehr als 40 Bewohnern. Der Überfall erfolgte auch nicht plötzlich, sondern dauerte etwa 45 Minuten. 38 Bewohner gaben später zu, dass sie zum Fenster gerannt seien, als sie die Hilfeschreie der Frau gehört hatten. Und doch unternahm kein Mensch den Versuch, ihr zu helfen, nicht mal ein einziger Anruf erreichte die Polizei. 


Wochenlang füllte dieser Mordfall New Yorkers Zeitungen. Die meisten Journalisten waren sich einig, dass das Leben in einer Metropole die Bewohner entmenschlicht und dass das Leben zu mangelndem Mitgefühl führt. Doch worin liegt der wahre Grund, dass die Menschen in dem Wohnblock taube Ohren für die Hilfeschreie hatten? 

Hilfsbereitschaft © Thomas Max Müller / pixelio.de
 
Tatsächlich hat sich die Hilfsbereitschaft in Kleinstädten im Gegensatz zu Großstädten als höher erwiesen. Das liegt aber nicht an den Menschen, die dort leben, sondern an der unmittelbaren Umgebung. Großstadtmenschen werden ständig mit Reizen überflutet und ziehen sich stärker zurück.

Dies ist jedoch nicht der einzige Grund, weshalb die Bewohner nicht eingegriffen haben. Denn bis ein Mensch überhaupt Hilfe leistet, müssen verschiedene Faktoren erfüllt sein. Sozialpsychologen haben hierfür ein Ablaufdiagramm entwickelt, das die fünf Schritte bis zur Hilfeleistung aufzeigt: 

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  1. Der Notfall muss bemerkt werden

    Tatsächlich können triviale Dinge, wie die Eile, in der man gerade ist, bewirken, dass man an einem Notfall vorbei läuft und ihn gar nicht bemerkt. Zwei Forscher haben dafür ein Experiment in Gang gesetzt, indem sie Theologiestudenten einer Notfallsituation ausgesetzt haben. In einer Vorlesung wurden Studenten gebeten, das Gebäude zu wechseln, in dem die nächste Vorlesung statt finden soll. Einer Gruppe von Studenten wurde gesagt, sie seien viel zu spät dran und sollten sich beeilen, der anderen Gruppe sagte man, sie hätten keinen Grund zur Eile und sie könnten sich Zeit lassen.
    Auf dem Weg zum anderen Gebäude lag ein Mann hustend und stöhnend zusammen gekauert, an dem beide Gruppen vorbei mussten. Was passierte nun? Hatten die Studenten Zeit, blieben sie stehen und halfen (63%), waren sie aber in Eile, so blieben tatsächlich nur 10% stehen. 

  2. Das Ereignis muss als Notfall interpretiert werden

    Selbst wenn Menschen merken, dass jemand neben dem Hauseingang auf dem Boden liegt, so bleibt nicht jeder stehen, um zu helfen. Aber muss dies unbedingt ein Notfall sein? Situationen können ja auch mehrdeutig gesehen werden: Vielleicht ist der Mann, der auf dem Boden liegt auch nur ein Alkoholiker, der auf dem Boden seinen Rausch ausschläft? Aus dem Mangel an Besorgnis ergibt sich ein Zustand pluralistischer Ignoranz, weil andere Zuschauer nicht betroffen wirken. 

  3. Verantwortung unternehmen

    Das klingt sicherlich widersprüchlich, aber es ist tatsächlich so: Je mehr Leute den Notfall bemerken, desto weniger wird eingegriffen. Sozialpsychologen nennen dieses Phänomen „Verantwortungsdiffusion“: Das Bewusstsein, Verantwortung für Hilfe zu tragen, nimmt bei jedem Zuschauer umso stärker ab, je mehr Zuschauer den Notfall mitbekommen. Warum sollte man sein Leben riskieren, wenn auch noch andere Menschen da sind, die helfen können? Wahrscheinlich nahmen die Nachbarn von Kitty Genovese an, dass schon jemand die Polizei gerufen hatte. Das Dilemma dabei war, dass jeder einzelne dachte, dass es in der Verantwortung der anderen Nachbarn liegt, die Polizei zu rufen.

  4. Angemessene Hilfeleistung kennen

    Selbst wenn man so weit gekommen ist, Verantwortung zu übernehmen, muss noch eine weitere Bedingung erfüllt werden. Der Helfende muss entscheiden, welche Art Hilfe angemessen ist. Der auf dem Boden liegende Mann – was hat er erlitten? Hatte er einen Herzinfarkt? Ist er gestürzt? Wenn man nicht weiß, wie man helfen soll, kann man natürlich nicht handeln. 

  5. Entscheiden, ob Hilfeleistung erbracht werden soll

    Schlussendlich muss noch die Überwindung bestehen, auch eingreifen zu wollen. Vielleicht fürchtet sich der Helfende, sich zu blamieren oder die Gefahr, auch selber verletzt zu werden, ist viel zu groß.

    Erst wenn all diese Bedingungen gegeben sind, wird geholfen...

2 Kommentare:

  1. Eigentlich traurig wie wenig hilfsbereit die Menschen sind :( Gibt ja auch Fälle von Frauen die praktisch auf offener Straße vergewaltigt werden, und die Leute gehen einfach vorbei <_<

    Ich denke, dass außer den Dingen die du angesprochen und aufgezählt hast, auch noch ein weiterer punkt eine Rolle spielt: Das "soziale Bewusstsein" der Menschen, die in so eine Situation geraten. Damit meine ich jetzt nur Zivilcourage - nicht jeder traut sich zB bei einem kampf dazwischenzugehen (erst letzten Sommer wurde eine junge Frau bei dem Versuch einen Streit zwischen zwei Männern zu schlichten, niedergestochen...), aber auch nicht jeder sieht in einem reglos auf der Straße liegenden Menschen überhaupt handlunsgbedarf. Viele Leute denken da leider "Bestimmt ein Säufer/Penner, der hat's verdient" etc.
    Auf die Idee dass die Person vielleicht verletzt ist, kommen viele glaub ich gar nicht.

    Alles in allem eine traurige Entwicklung. Aber ich frage mich - war es je besser?
    ich denke es gab schon immer couragierte und hilfsbereite Menschen, und solche die sowas überhaupt nicht tangiert. Vor 1000, 500, 50 Jahren gleichermaßen wie heute...

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  2. "aber auch nicht jeder sieht in einem reglos auf der Straße liegenden Menschen überhaupt handlunsgbedarf. Viele Leute denken da leider "Bestimmt ein Säufer/Penner, der hat's verdient" etc."

    Jupp, das ist schade, dass manche Leute so urteilen. Aber manchmal denk ich mir, dass wir wahrscheinlich nicht so arg viel besser sind :/ Was denken wir, wenn wir an einem Obdachlosen vorbeilaufen? Bei uns an der Hochschule zum Beispiel gibt es einen Mann, der sitzt jeden Tag vor dem Eingang des Hochschulgeländes und wartet auf Almosen. Was für ein Urteil bildet man sich über den Menschen? Was würden die meisten Studenten tun, wenn er eines Tages mal auf dem Boden liegen würde anstatt sitzen?

    Ich glaube aber auch, dass es nie besser war, wenn nicht sogar schlimmer ^^
    Ich meine, wie sehr haben sich Menschen vor 200 Jahren verhalten? Denke, da hat eher der eigene Überlebenskampf gezählt, da das Leben allgemein schon sehr hart war.

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